Der Autor
Dipl. Ing. Agrar Johann Högemann
ist Fachberater für Pflanzenbau und Obmann für Naturschutz der Jägerschaft Lingen.

Energie aus Wildpflanzen - eine Chance für die Artenvielfalt

Im Rahmen einer nachhaltigen Landnutzung gilt es, Rückzugs- und Lebensbereiche für die Tierwelt zu schaffen. Insbesondere ist ein reichhaltiges Nahrungsangebot für blütenbesuchende Insekten wie Honig- und Wildbienen, Hummeln, Schwebfliegen, Schmetterlinge und Käfer zu gewährleisten, die eine wichtige Funktion im Ökosystem haben. Um die Akzeptanz in der Landwirtschaft zu erhöhen, müssen praxistaugliche Konzepte für einen nutzungsintegrierten Naturschutz auf Kulturflächen weiter ausgebaut werden.

Nahrungsquelle, Lebensraum und Energieträger

Der Anbau von mehrjährigen Wildpflanzen als Teilalternative zum Mais für die Biomasseproduktion ist so ein Konzept und wird seit 2013 durch das Land Niedersachsen und die Landesjägerschaft Niedersachsen wissenschaftlich begleitet. 


Die angebaute Mischung BG 90 der Firma Saaten-Zeller besteht aus 20 verschiedenen Wildpflanzen, überwiegend mehrjährige Stauden wie Flockenblume, Steinklee, wilde Möhre, Lichtnelke und Königskerze. Die Aussaat der Lichtkeimer erfolgt im Juli/August mit nur 10 kg Saatgutmenge je Hektar. Abhängig von Boden- und Witterungsverhältnissen benötigen die Pflanzen mehrere Wochen bis Monate von der Keimung bis zur Etablierung. Die Wildpflanzen entwickeln dann bis zum Herbst kniehohe Bestände. Einige beginnen sogar schon mit der ersten Blüte, wie die Malven, und locken Insekten an. Im Folgejahr und dann jedes Jahr Anfang August wird der bis 2-3 Meter hohe Pflanzenbestand mit herkömmlicher Technik geerntet und siliert. In einer Biogasanlage wird die Silage dann verwertet, weil die Pflanzen nicht für die Verfütterung an Tieren geeignet sind.

Mehrjährige Nutzung

Die Mischung BG 90 kann nach der einmaligen Aussaat vier bis fünf Jahre ohne weitere Bodenbearbeitung und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln genutzt werden. Lediglich eine Überfahrt im Frühjahr mit Dünger ist notwendig. Die Bestände werden schon früh als Bruthabitat genutzt. Gerade Bodenbrüter von Rebhuhn und Fasan sind Nestflüchter und führen ihre Jungtiere bereits kurz nach dem Schlupf in die deckungs- und insektenreiche Fläche. Mehl- und Rauschwalben sind ebenfalls Gäste und jagen Insekten, um damit ihre Jungvögel zu füttern.


Im Landkreis Stade wurden in Bargstedt, Ahlerstedt und Ohrensen im Jahr 2019 durch Landwirte und Jagdpächter erstmalig auf 16 ha Wildpflanzen angebaut. Die teilnehmenden Landwirte und Jäger sind von den Potenzialen der mehrjährigen Wildpflanzen überzeugt, für 2020 konnten weitere Landwirte und Flächen gewonnen werden.

Summen und brummen

Der Anbau von mehrjährigen Wildpflanzenmischungen für die Biomasseproduktion bietet innovative Ansätze für eine vielfältige und nachhaltige Landwirtschaft. Wildpflanzenarten tragen zur ökologischen Aufwertung der Feldflur bei. Sie bieten Nahrungsangebote und schaffen attraktive Lebensräume für Wildtiere, Vögel und Insekten. Darüber hinaus fördert der Anbau von Wildpflanzen die Erweiterung der landwirtschaftlichen Fruchtfolgen.


Mit ihren unterschiedlichen Blühzeitpunkten bieten sie fast während der gesamten Vegetationsperiode (Ausnahme Erntezeitpunkt) Insekten, Bienen, Feldvögeln und anderen Wildtieren einen dauerhaften Lebens-, Nahrungs- und Rückzugsraum – und sorgen für eine dauerhafte Flächenbegrünung. Neben der Steigerung der Artenvielfalt ist auch die Vermeidung von Stickstoffausträgen im Boden ein weiterer positiver Effekt, der für den Anbau dieser Wildpflanzenmischung spricht.


Die Methanerträge je Hektar liegen ca. 30 % unter dem Ertragsniveau der Maissilage, daher ist in Anbetracht des ökologischen Mehrwerts eine finanzielle Ausgleichsregelung sinnvoll. Um den Anbau dieser Dauerkulturen großräumiger zu etablieren, sind nun politischer Wille und finanzielle Förderanreize notwendig.

Blütenreiche Energiepflanzenfläche in Bargstedt im Juli 2020 (Foto: Wilhelm Holsten)

Eindrillen des Saatgutes auf einem abgeernteten Maisfeld (Foto: Wilhelm Holsten)

Erdhummel auf Wilder Karde (Foto: Wilhelm Holsten)

Informationsschild zum Projekt am Feldrain (Foto: Wilhelm Holsten)

Blütenbesuchende Hummeln am blauen Natternkopf (Foto: Wilhelm Holsten)

 

Der Autor
Dipl. Ing. Agrar Johann Högemann
ist Fachberater für Pflanzenbau und Obmann für Naturschutz der Jägerschaft Lingen.